Vortrag mit anschließender Diskussion von Wolfgang Sigut am 15. April 2014
im Rahmen der Themenschwerpunkte des Vereins Rasissmusfreies Transdanubien
im Gasthaus Vogelbauer, 1220 Wien.
- Mose: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen.”
- Luther: „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen.”
- Marx: „Arbeit ist das sich bewährende Wesen des Menschen.” (die Essenz, positiv gewertet, „Die Müsiggänger schiebt beiseite” lautet ein Text der internationalen Arbeiterhymne.)
- „Arbeit macht frei” – war über den Toren der Konzentrationslager zu lesen.
Kapitel 1
Einige Daten vom aktuellen Arbeitsregime:
- Abschaffung der befristeten Invaliditätspension von unter 50 jährigen, die dafür einer umfassenden medizinischen Reaktivirungsbehandlung unterworfen werden. Mit Ziel der Gesundung um wieder in den Arbeitsprozess integriert zu werden. Wer sich solcher Behandlung verweigert hat mit Bezugssperren zu rechnen.
- Bis 2024 Erhöhung des Frauenpensionsantrittsalter von 60 auf 65 Jahre und wenn möglich schon vorher, Vorstöße dazu gibt es in regelmäßigen Abständen.
- Ausbildungspflicht für Jugendliche bis 18 Jahre mit Sanktionen wenn dem nicht Folge geleistet wird.
- Erhöhung der Förderungen für die oft teuren und unproduktiven „sozialökonomischen Betriebe“ (SÖB) und die „gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte“ (GBPs) um dort ältere Arbeitslose zu parken.
- Die Arbeitsmarktlage, herausgegeben vom AMS, Ende Februar 2014:
356.745 Arbeitslose und 84.098 Personen in Schulungen ergibt 440.843 Menschen ohne Erwerbsarbeit.
3.437.000 Menschen werden im Monatsbericht des AMS als in Arbeit benannt, ergibt eine Eurostat-Arbeitslosenquote von 4,9% und nach österreichischer Berechnung 9,4%. Nach meiner Berechnung, 3.437.000 in Arbeit + 440.843 AL = 3.877.843 arbeitsfähige Menschen. Arbeitslosigkeit in diesem Bezug (440.843/34370) daher 11,368%.
- Nun aber das wichtigste, die Zahl der offenen Stellen: 33.567
Wo bleibt die Logik der Verhältnismäßigkeit? 440 tausend gegenüber 33,6 tausend!
Übrigens, 2013 verhängte das AMS 105.295 Bezugssperren, das bedeutet mindestens 6 Wochen lang kein Geld für 105.295 Menschen!? –> AktiveArbeitslose
Derzeit in Verhandlung, die Ausweitung der täglichen Arbeitszeit von 10 auf 12 Stunden!
„Damit gearbeitet wird wenn es der Markt verlangt”, eine weitere Flexibiliserung der Werktätigen zu Gunsten einer ungestörten und kostengünstigen Produktion. Wir leben um zu arbeiten, oder arbeiten wir um zu leben? Wer heute nach Inhalt und Zweck seiner Arbeit fragt wird verrückt – oder zum Störfaktor für das selbstzweckhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Maschine.
Ganz anders klang das im Jahre 1985 bei einer Festrede von Alfred Dallinger zum 40-jährigen Bestand des ÖGB.
„Wenn Lohnarbeit weniger werde, werde kurzfristig eine Neuverteilung der Arbeit unumgänglich. Langfristig brauche es eine neue Defination von Arbeit und es sei zu fragen – ob sich nicht aus der Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung die Konsequenz einer Entkoppelung von Arbeit und Lohn ergibt.”
In einigen Branchen war damals schon die 38,5 Stunden Woche realisiert und Dallinger forderte die 35 Stunden Woche. Aber auch kürzere Jahres- und Lebensarbeitszeiten standen auf seiner Agenda, mit einer Wertschöpfungsabgabe, der Maschinensteuer wollte er diese Forderungen gegen finanzieren.
Schon damals nahm der Minister auch Stellung zu dem aufkeimenden Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens, die sichtbaren Zeichen der Veränderung der traditionellen Arbeit waren ja bereits vorhanden. Wäre Dallinger nicht in den Bodensee gestürzt und würden die damaligen Überlegungen hochgerechnet auf das Heute werden, so hätten wir inzwischen sicherlich eine 25 Arbeitsstunden Woche.
Kapitel 2
Ursprung und Durchsetzungsgeschichte der Arbeit:
In grauer Vorzeit als der Mensch sich als Jäger und Sammler betätigte existierte Arbeit überhaupt nicht. Höchstens 2 Stunden am Tage war er mit Reproduktionstätigkeiten beschäftig. Die entscheidende Wende erfolgte mit dem Ackerbau der Sesshaftigkeit und Landnahme voraussetzte. Mit der Einzäunung und Privatisierung von Land war aber die gemeinsame Nutzung beendet. Der Zaun als Synonym für Eigentum und Ausgrenzung!
[Das Entstehen von Zäunen, wie viel ist uns in unserem Leben da schon untergekommen? Pervers, das umzäunen von Mistkübelstellplätzen in Wien.]
Jean-Jacques Rousseau: „Die Früchte gehören euch allen, aber der Boden gehört niemandem.“
Mit zunehmender Population und dem Herausbilden von hirarchischen Strukturen wurde diese Beraubung der Allgemeinheit zum immer größer werdenden Problem – zum Entzug der Lebensgrundlage. Wer sich nicht selbst erhalten kann, muss sich verdingen. Die Landbesitzer nahmen mit dem Land auch die Leute in Besitz. Diese wurden ihrer Selbsterhaltungskunst beraubt, konnten sich nicht mehr nehmen, was die Natur gewährt. Mit Waffengewalt wurden die Menschen von ihren Feldern vertrieben um der Schafzucht für die Wollmanufakturen Platz zu machen.
Alte Rechte wie das freie Jagen , Fischen und Holzsammeln in den Wäldrn wurde abgeschafft. Den verarmten Massen wurde dann in Arbeitshäusern und Manufakturen ein gefügiges Arbeitstierbewusstsein eingeprügelt. Die Untertanen wurden in das Material des geldmachenden Arbeitsgötzen verwandelt.
[Für besonders widerspenstige gab es Bottiche gefüllt mit Wasser in die diese eingesperrt wurden. Mit Hilfe eine Wasserpumpe die sie unentwegt betätigen mussten, konnten sie sich vor dem Ertrinken bewahren und wurden an unermüdliches Arbeiten gewöhnt.]
Aber das reichte den absolutistischen europäischen Staaten noch lange nicht, sie dehnten ihren Anspruch auch auf andere Kontinente aus. In beispiellosen Raub- und Ausrottungsfeldzügen fielen sie über die neu entdecken „Welten” her. Deren Bewohner ja nichtmals als Menschen galten. Das war die Legitimation „Wilde” und „Menschenfresser” auszulöschen und millionenfach zu versklaven. Die koloniale Plantagen- und Rohstoffwirtschaft ist somit ein Gründungsverbrechen des warenproduzierenden Systems.
Paralell dazu entwickelte sich die Arbeitstechnik. Ursprünlich war Arbeit in Zünften und Gilden organisiert. Arbeit war das Produkt aus Muskelkraft, Werkzeug und Erfahrung des Arbeiters.
Mit der 1. Industriellen Revolution erfolgte eine Übertragung des Werkzeugs auf die Maschine. Die Energie wurde ausgelagert (Wind- und Wassermühlen) und das algorithmische Wissen des Handwerkers in der Maschine vergegenständlicht. Das Proletariat, Menschen die nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft ihren überwiegenden Lebensunterhalt erzielen können, war entstanden.
Die 2. Industrielle Revolution erfolgte über das augegliederte algorithmische Wissen.
Dieses wurde soweit umgestaltet und in die gesammte Produktion (Fließband) interiert und der Zeit als Taktgeber unterworfen. Die totale Unterordnung des Menschen gegenüber der Maschine war die Folge und neue Energieformen (Dampf, Elektrizität) kamen zum Einsatz. –> Visuelles, eindrucksvolles Dokument: Charlie Chaplin – Moderne Zeiten
Die 3. Industrielle Revolution erfolgte über die Flexibilisierung der Prozesse.
Es wird die Möglichkeit der Abänderbarkeit des Ablaufes, die Manigfaltigkeit der möglichen Einsätze der Werkzeugmachinen, die Modularität der Einheiten in der Fließbandfertigung, in die Produktion eingebaut. Die Algorithmisierung der Algorithmisierung mit Hilfe der Mikroelektronik.
Dafür steht der Computer. Die Universalität der digitalen Form ist es, die zur Durchdringung nahezu aller Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion führen und diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen!
Dazu ein Zitat von Karl Marx von 1857:
„Es ist, weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitert, sondern die Aneignung seiner allgemeinen Produktionskraft, sein Verständis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper – in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. (…) Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muss aufhören, die Arbeitszeit Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. (…) Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen …”
Die Gesellschaft war noch niemals so sehr Arbeitsgesellschaft wie in der Jetztzeit, in der die Arbeit immer offensichtlicher überflüssig gemacht wird! Je unübersehbarer es wird, dass die Arbeitsgesellschaft an ihrem definitiven Ende angelangt ist, desto gewaltsamer wird dieses Ende aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Warum?
Vielleicht weil es sich bei der demokratischen Arbeitsgesellschaft um ein ausgereiftes, auf sich selbst rückgekoppeltes Selbstzwecksystem der Verausgabung von Arbeitskraft handelt, ist innerhalb seiner Formen ein Umschalten auf allgemeine Arbeitszeitverkürzung gar nicht möglich. Die betriebswirtschaftliche Rationalität verlangt, dass einerseits immer größer werdende Massen dauerhaft „arbeitslos” und damit von der systemimmanenten Reproduktion ihres Lebens abgeschnitten werden, während anderseits die stetig schrumpfende Anzahl der „Beschäftigten” einer umsogrößeren Arbeits- und Leistungshetze unterworfen sind.
[Arbeit zerstört, sie stellt die Substanz des Kapitalismus dar]
siehe auch ein Interview im Standard mit Andrea Komlosy
Kapitel 3
Die Wirklichkeit die uns umgibt ist eine konstuierte:
„Die gesamte Sozialkonstruktion ist ein andauernder, fortschreitender Prozess von Veränderung und Anpassung, der von den Menschen akzeptiert und durch aktive Teilnahme vorangetrieben wird. Die Interpretationen, Motive und das Wissen der Menschen bildet die Grundlage des dynamischen Prozesses. Da Sozialkonstrukte nicht von Natur aus geschaffen sind, müssen sie ständig durch menschliche Handlung und Bewusstsein unterstützt und erhalten werden. Der dynamische Prozess beinhaltet auch Veränderung, da neue Generationen mit neuer Teilnahme und Unterstützung Sozialkonstrukte verschieden gestalten und modifizieren können: Was Gerechtigkeit und Recht ist, entscheidet jede Generation für sich selbst.” – so die Definition bei wikipedia.
Es stellt sich die Frage was treibt uns an? Ich behaupte Macht, die Macht unserer ureigensten Bedürfnisse.
[Marianne Gronemeyer: Die Macht der Bedürfnisse (ISBN-13: 978-3-534-23107-2)]
Wer sich mit den menschlichen Bedürfnissen beschäftigt, sieht sich in lauter Widersprüche verwickelt. Wir glauben, die Welt werde nach unseren Bedürfnissen eingerichtet, tatsächlich richten sich unsere Bedürfnisse nach der Welt (interessant dazu die Position von Marx – das Sein bestimmt das Bewusstsein).
Wir sind überzeugt, dass wir Macht über unsere Bedürfnisse haben, in Wahrheit sind die Bedürfnisse das Einfallstor der Macht, die über uns ausgeübt wird. Einer systemischen Macht die alle mit einschließt. Wir halten die Bedürfnisse für den Ausdruck unseres ureigensten Wollens, aber sie sind ein Verhängnis, das über uns kommt. Leben wir doch in Europa in einer Überflussgesellschaft!
Und je größer der Überfluss, desto bedürftiger wird der Mensch weil er sich von seiner Selbsterhaltungsfähigkeit immer weiter entfernt hat. Er kann zu seinem Lebensunterhalt nichts tun, er muss alles, was er braucht, kriegen. Der Bedürftige ist ein kriegender Mensch in des Wortes doppelter Bedeutung, dass er sich an eine jeweilige Instanz wenden muss, damit ihm gewährt werde, was er zu brauchen glaubt. Dafür muss man bezahlen, meistens cash, gelegentlich mit Wohlverhalten oder mit beidem. Kriegender Mensch ist er aber auch in dem andern Sinne, das er, um etwas abzukriegen, „Krieg” führen muss mit allen jenen, die genauso bedürftig sind wie er oder sie selbst.
Der Arbeitsmarkt zum Beispiel ist heute ebenso wie Wissensvermittlung ein veritabler Kriegsschauplatz, auf dem sich die gleichermaßen Bedürftigen gegenseitig die Vorteile abjagen müssen.
Zusätzlich aber existiert ein Phänomen, entstanden aus der Überflussgesellschaft – eine gesteuerte Knappheit. Über Knappheit von zumeist wertvollen Gütern wird die Wirtschaft im Gang gehalten und dazu kommt noch der Neid als Motor.
Schon haben wir Bedürfnisse die unersättlich sind und die sich unsichtbar steuern lassen. Nun aber wirkt Macht elegant über uns, in der Demokratie in perfekter Form. Wenn die Untertanen alle glauben, was sie sollen, und sich dabei noch wirklich frei fühlen hat die Macht kein Gesicht. Hier zeigt sich ganz klar ein Nord-Süd-Gefälle. Im Süden der Welt zeigt sich die Macht immer noch offensichtlich als Diktatur und Ausbeutung und Unterdrückung und ist dadurch im Gegensatz zum Abendland auch auszumachen.
Was ändern?
Etwas das sicherlich nicht funktionieren wird ist ein Versuch, die Macht mittels Gegenmacht in die Knie zu zwingen. Eine Kritik der Arbeit hat nur eine Chance, wenn sie gegen den Strom der Entgesellschaftung ankämpft, statt sich von ihr mitreißen zu lassen. Aber zivilisatorische Standards sind nicht mehr mit der demokratischen Politik zu verteidigen, sondern nur noch gegen sie.
Der Königsweg dazu ist sicherlich ein waches Bewusstsein und der Drang gegen die zunehmende Bedürftigkeit aufzubegehren. „Es reicht”, war der Wahlspruch der Zapatisten in Mexiko und er ist aktueller denn je. Nicht mehr verharren in Sorge und Angst sondern der Übergang zu einem aktiven, eigenverantwortlichen Handeln. Ein handeln das einen persönlichen Bezug zu den Dingen des Lebens, zu den Menschen herstellt und das Gegenteil von Maßlosigkeit darstellt. Nicht das Umlegen eines Schalters, oder bezahlen einer Summe, das ganze Kolonnen von Arbeitskräften mobilisiert, um mir ein Produkt zu dem ich keinerlei Beziehung aufbauen konnte, zu beschaffen. Ein zugehen auf Menschen in Empathie, ein Herstellen von tragfähigen Sozialnetzen anstatt Beziehungen zu Menschen über Geld und hierarchischen Strukturen. Zusammen mit der Arbeit soll die abstrakte Allgemeinheit des Geldes ebenso wie diejenige des Staates verschwinden. An Stelle der einzelnen Nationen tritt dann eine Weltgemeinschaft, die keine Grenzen mehr benötigt, in der jeder Mensch sich frei bewegen kann und an jedem Ort als Gast willkommen ist.
Die Kritik der Arbeit ist eine Kriegserklärung an die herrschende Ordnung.
Ein äußerst gelungener Beitrag zum Thema „Arbeit“.
Besonders wichtig der Hinweis auf die Bedürfnisse als „Einfallstor der Macht“ – Bedürfnisse, die vor allem der Befriedigung von Eitelkeiten dienen und nicht der Bekämpfung von Armut.
Wichtig auch die Forderung nach einem „Übergang zu einem aktiven, eigenverantwortlichen Handeln“, das eine Voraussetzung für „demokratische Politik“ ist, ohne die meiner Ansicht nach eine „demokratische Arbeitsgesellschaft“ nicht möglich ist.
Eine profunde Analyse!